Mein Bergsee, oh du mein Bergsee!

Fauntleroy Blog Essen Kartoffelstock
Nationalheiligtum: Der Bergsee

Es war einer dieser zwar kalten, aber irgendwie doch nicht so recht winterlichen Januarabende im mondänen Zürich, wo ich geschäftlich zu einem Abendessen in ein gehobeneres Zürcher Inlokal eingeladen war.

 

Inlokale in Zürich erkennt man am ehesten daran, dass die Leute Fotos von ihrem Essen machen und diese dann online stellen.

Wobei eigentlich jedes Lokal in Zürich ein Inlokal ist, weil es eben in Zürich ist.

 

Natürlich kann der Gast auch in einem Bergrestaurant in Glarus Fotos von seinem Essen machen, dann aber eher, um der Gefolgschaft zu zeigen, dass Leonardo Di Caprio nicht der Einzige ist, der seine Grenzen austestet. Ich sag nur Gluten! Überall Gluten!

 

Soweit, so fein.

 

Die Karte liess denn auch einiges hoffen. Zwar fand ich darauf kein Schnipo (wie vulgär), sondern viele mir eigentlich vertraute Begriffe, angereichert mit Worten, welche beeindruckend international klangen.

 

Blablabla an Rotweinmorchelsteinpilzsauce und zwischen Zimtblättern gelagerten Padanokäse...

 

Blablabla mit Thymianblätteressenz und Khaki-Ouvre...

 

Blablabla mit im Bierschaum eingeriebenem Fetakäse an gedünsteten Riesencrevetten...

 

... wobei bei mir nur Käse, Bier und Shrimps hängen blieb.

 

Ja, man könnte sagen, ich bin kulinarisch gesehen ein einfaches Gemüt.

 

So konnte ich mein Glück kaum fassen, als ich auf den hinteren Seiten der Menukarte etwas ganz und gar Vertrautes vorfand: Kartoffelstock mit Grossmutters Hackbraten und Saisongemüse.

 

Das wollte ich mir nicht entgehen lassen!

 

Ich wusste zwar nicht, um wessen Grossmutter es sich da handelte, doch die umherwirbelnden Tamilen in der Küche würden schon wissen, was sie tun.

Die übrigen Anwesenden schienen sich ihrer Sache ebenso sicher zu sein, obwohl ich vermutete, dass ihre Gerichte zwar cooler tönten, aber meines sie schon bald neiderfüllt in meinen Teller glotzen liesse.

 

In welcher Realität könnte ein mit Honig lackierter Fisch Grossmutters Hackbraten mit Kartoffelstock überbieten?

 

Eben!

 

Doch zuerst der Gruss aus der Küche!

 

Wirklich lecker. Erst wusste ich zwar nicht genau, wie ich das Ding korrekt verspeisen sollte - da lagen nur zwei Stäbchen, eine Serviette und eben das Ding.

 

Glücklicherweise wussten es die Anderen auch nicht, also habe ich mir die Eleganteste ausgesucht, indem ich einfach abgewartet habe .Danach war mir auch klar, wozu die Serviette gedacht ist.

 

Mit den Stäbchen ein Walross nachzumachen, weil der Hauptgang so lange braucht, ist übrigens extrem uncool. Offensichtlich.

 

Trotzdem sollte man davon absehen, zu fragen, wo denn das Essen bleibt.

 

Das ist auch extrem uncool.

 

Stattdessen nutzt mein redegewandtes Gegenüber die Zeit, um über das Weltgeschehen zu reden. Oje...

 

Ich mag nicht über Gleichberechtigung diskutieren, wenn ich Hunger habe.

 

Jeremy, mein Gegenüber, scheint dagegen nicht so hungrig.

 

Er redet davon, die Frauen aus der Küche zu befreien. von gleicher Entlöhung für gleiche Arbeit. Etwas von Genderisierung. Die Schwingtür zur Küche zeigt derweil die Tamilen bei der Zigarettenpause im Hintereingang.

 

Vielleicht warten sie auch auf die Grossmutter.

 

Ich warte auf mein Essen, sage es aber nicht... offensichtlich.

 

Reisschnaps ist dafür eine feine Sache.

 

Genau wie Genderisierung... oder eben nicht, je nachdem.

 

Juhu, der Hauptgang!

 

Sich zu offensichtlich auf die dampfenden Teller voller Leckereien zu freuen ist übrigens uncool.

 

Ahhh und Ohhh sind ok, Arme in die Höhe werfen und Wolfsgeheul eher weniger. Offensichtlich.

 

Da stand es also.

 

Drei hauchdünne Scheiben Hackbraten, Saisongemüse und ein grosser Chlapf Kartoffelstock. Dazu ein Kännchen mit Sauce und, glücklicherweise, keine Stäbchen.

 

Und es duftete! Mhhh... nicht nach Konservierungsmitteln, nach Kartoffeln! Ich war im Himmel!

 

Zumindest am Anfang.

 

Als ich tat, was ich mit Härdöpfelstock immer tat, nämlich mit dem Löffel einen kleinen See auf meinen Haufen zu setzen, stockte Jeremy, offensichtlich, der Atem.

 

"Das machen doch nur Kinder!", begleitet mit einem fassungslosen Gesichtsausdruck. Der kurz davor mühsam auf die Stäbchen geladene Humus tropfte auf seine vegane Soja-Bratwurst. Alle Köpfe drehten sich in meine Richtung.

 

Jäh erinnerte ich mich an den Vorfall 97, als ich in einem italienischen Restaurant unbedachterweise meine Spaghetti mit der Gabel in einem Löffel aufrollte.

 

Damals schämte ich mich in Grund und Boden, wohl zu Recht, da mich der albanische Besitzer nach dem Essen nicht mal fragte, ob ich noch einen Grappa will.

 

Doch diesmal war es Anders!

 

Vielleicht lag es am Reisschnaps, vielleicht auch nicht.

 

Bei etwas Exotischem wie Spaghettis liess ich mir noch dreinreden, aber bei Härdöpfelstock mit Hackbraten? Sollte meine Mutter gelogen haben, wie beim Osterhasen und dem Weihnachtsmann?

 

Das konnte nicht sein! Ich habe es selber gegessen! ICH WAR DA!

 

Jeremy schaute noch überlegen grinsend in die amüsierte Runde, da holte ich bereits zum Gegenschlag aus. 

 

Mein See war bis dahin ein Bergsee oberhalb der Baumgrenze.

Doch Jeremy hatte die Rechnung ohne das Saisongemüse gemacht!

 

Fauntleroy Bergsee Blog Essen Foodie Stocki
Verbündete auf Zeit : Der Feind meines Feindes ist mein Freund

Jeremy verstand die Botschaft - er hörte auf zu grinsen.

 

Ich blieb äusserlich die Ruhe selbst.

 

Ich ass meinen Härdöpfelstock mit Hackbraten nach Grossmutters Art und Saisongemüse...

 

... und bestellte danach noch Grappa und einen Bananensplit mit extra Rahm.

 

Jeremy sollte diesen Abend niemals vergessen.